Aus der Bahn geworfen
Wie sehr mich die Ereignisse des letzten Jahres aus der Bahn geworfen haben, merke ich an Kleinigkeiten. Vielen Kleinigkeiten, die sich auftürmen. Shiva ist nicht der erste Hund, den ich verloren habe, aber es gibt Tage, da habe ich das Gefühl, als hätte ich ein riesengroßes Loch in mir und meine Gedanken und Gefühle würden dort einfach rausströmen. Ich kann auch schwer konzentriert bleiben und muss mich für manche Dinge zwingen, die mir sonst mit Leichtigkeit nebenbei gelangen.
War ich im letzten Jahr kreativ ohne Ende, fällt es mir jetzt zunehmend schwerer, überhaupt einen Stift in die Hand zu nehmen, geschweige denn etwas zu zeichnen. Von irgendwelchen Texten ganz zu schweigen. Ich sprudelte vor Ideen über und hätte gleichzeitig 5 Romane schreiben können. Jetzt sitze ich da und starre eine leere Seite an. Tagebuchschreiben… vergiss es. Nach 2 Wochen überlege ich, was hatte ich überhaupt an den letzten Tagen erlebt… Keine Ahnung. Ich habe meinen Drive verloren.
Aber hängt das alles mit Shivas Tod zusammen? Oder ist es eher die Erfahrung, dass ich ein neues Knie habe? Ich habe mich tatsächlich darauf gefreut, aber in meinen Vorstellungen kam immer nur der Gedanke auf: Ich habe keine Schmerzen mehr. Dass ich quasi am gesamten Körper Muskelkater bekomme, weil sich mein komplettes Skelett neu ausrichtet, da ich nun keine Schonhaltung mehr benötige und mir überall alles weh tut. Davon wollte ich vorab nichts wissen. Dass ich morgens steif bin, dass man mich als Surfbrett verwenden könnte und ich ständig den Gedanken habe: „Hoffentlich beschädige ich mein neues Knie nicht“, das hat mir niemand gesagt.
Ich gehe hochambitioniert mit Indigo verschiedenste Wanderstrecken, die ich vorher schon mit Shiva gelaufen bin und stehe so oft vor einem Absatz oder einer etwas abschüssigen Strecke und bekomme Angst, dass ich den Weg nicht runterlaufen kann und mein Knie mich nicht trägt. Dass es wegsackt und ich vor Schmerzen nicht mehr laufen kann. Ja, das ist vor der Operation desöfteren passiert, dass ich irgendwo in der hinterletzten Pampa festsaß und mich mit entsetzlichen Schmerzen durch die Wildnis zum Auto zurück kämpfte. Die Angst läuft immer noch mit. Wie werde ich sie wieder los?
In meiner Wunschvorstellung laufe ich locker flockig Treppen rauf und runter, schreite munter weit aus und mache Wanderungen im Hochgebirge. Tatsächlich stehe ich vor einer Treppe und überlege, ob ich diese wohl runterlaufen kann und ich muss mir bei jedem Schritt sagen, dass ich diese Treppe laufen kann und ich mein Knie abwinkeln kann. Tatsächlich stehe ich vor meinem Wunschwanderweg und kneife vor Angst und gehe den „Rentnerweg“. Ja, jeder Arzt, jeder Physiotherapeut sagt mir, dass es dauert. Ich muss jahrelange Erfahrungen erst mit der neuen Erfahrung überdecken, trotzdem… Ich möchte endlich meine Wunschvorstellung leben.
Aber ich bereue in keinster Weise, dass ich das Knie hab operieren lassen und ich werde auch das zweite Knie früher oder später operieren lassen. Ich muss mich nur daran gewöhnen. Ich nenne es jetzt Jeremy und mit Jeremy schaffe ich alles!