Mein Job
Seit mittlerweile 26 Jahren arbeite ich in der Justiz. Okay, ich hab zwei Ausflüge in die freie Wirtschaft gemacht und es hat mir nicht gefallen. Ich mache meinen Job echt gerne. Es ist abwechslungsreich und auch verantwortungsvoll.
Angefangen habe ich auf dem Familiengericht. Das war nicht so meine Welt. Ich habe es zwar mehrere Jahre gemacht, aber nein… Man bekommt so viel Einblick in die Abgründe von nicht intakten Familien, dass mir die Lust aufs Heiraten und Familie gründen gründlich vergangen ist.
Später war ich auf dem Mahngericht. Laaaangweilig. Es ist einfach nicht meins, da du ständig nur dasselbe machst. Nichts aufregendes, nur Zahlen und Bescheide. Ich habe es auch nicht lange gemacht, außerdem saß ich in Stuttgart fest und dort hat es mir überhaupt nicht gefallen.
Seit über 10 Jahren bin ich nun auf dem Jugendschöffengericht. Es ist eine spannende und abwechslungsreiche Stelle. Ich hab größtenteils nur mit Jugendlichen oder jungen Erwachsenen zu tun. Es sind teilweise noch Kinder und andererseits schon fast fertige Persönlichkeiten. Der Charakter ist schon weitestgehend geformt und doch merkt man, wie sich die Jugendlichen und Heranwachsenden doch noch verändern können.
Mir fällt immer mehr und öfter auf, wie sehr sich doch die Straftaten mit der Gesellschaft verändern. Vor ein paar Jahren, als ich hier anfing, waren es viele Diebstähle, Schlägereien und immer wieder Drogendelikte. Aufgewachsen in meiner kleinen heilen Welt, war ich überrascht, wie präsent die Drogen hier im Umkreis sind. Hey! Ich bin hier auch aufgewachsen und habe davon nichts mitbekommen.
Das Klima wurde rauer und es kamen immer mehr schwerere Körperverletzungen dazu. Früher hat man sich mal kurz gestritten, eventuell auch mal geschlagen und sobald einer am Boden lag, war es vorbei. Es war auch immer Einer gegen Einen. Jetzt sind es 10 gegen einen und wenn einer am Boden liegt, kommen noch welche dazu. Es erschreckt mich. Es erschüttert mich und ich kann meine Arbeit immer weniger an der Stempeluhr zurücklassen. Es verfolgt mich.
Dann kam Corona und anfangs gingen die Straftaten deutlich zurück, veränderten sich und eine zeitlang hatten wir fast nur noch Sexualdelikte und schwere Körperverletzungen, Drogenexzesse. Warum? Die Menschen brauchten wohl ein Ventil. Die Jugendlichen haben sich nur noch über Pornos fortgebildet und dachten scheinbar, dass „das“ eben so geht. Die Leidtragenden waren die Mädchen, die eben durch mangelnde Kontakte sich durchs Internet kennenlernten und auch keine Erfahrung hatten.
Inzwischen hat es sich wieder gewandelt. Die Sexualdelikte gehen zurück und wir haben wieder den normalen Strafrahmen von Raub, Körperverletzungen, Diebstählen und immer wieder Drogendelikte. Aber ich nehme immer mehr mit nach Hause. Der Ton in der Gesellschaft ist rauer geworden. Ich selbst habe mich verändert und eine sehr harte Schale zugelegt. Hatte ich anfangs mit jedem Angeklagten Mitleid und wollte ihnen helfen, zucke ich heute bei einem Haftbefehl gegen einen 15jährigen mit der Schulter. Selbst schuld…
Aber das bin ich nicht! Ich bin immer noch diejenige, die wegen einem aus dem Nest gefallenen Vogel untröstlich weint. Ich bin immer noch diejenige, die Mitgefühl mit den Opfern hat und den Tätern wünscht, dass sie es verstehen und sich bessern. Ich bin immer noch diejenige, die jedem helfen möchte und eine Freude machen. Ich bin immer noch ich. Ich hab nur eine Mauer errichtet, damit ich ich bleiben kann.